
Mit unverlangt überreichten Aufmerksamkeiten ist das so eine Sache: Selbst wenn sie das Gefallen des überraschten Gegenübers nicht finden, halten sich die meisten Menschen an das Diktum vom Maul des geschenkten Gauls, lächeln freundlich und nehmen dankend in Empfang. So weit, so gut, so wohlerzogen. Wenn die Bescherung aber ein unübersehbar auf öffentlichem Platz angebrachtes Kunstwerk ist, das sich dem als „Stadtnutzer“ arglos daran vorbeischlendernden Passanten quasi aufdrängt, ist es mit der höflichen Zurückhaltung oft nicht mehr weit her. Kritische Stimmen prangern da bald einmal eine „Verschandelung“ an und beschwören einen Skandal herauf, ja verlangen sogar die Entfernung des öffentlich errichteten Kunstwerks. Je nun.
Gar nicht konfliktscheu. Tatsächlich scheint dem Kunstwerk im öffentlichen Raum ein streitbarer Wesenszug fast schon unvermeidlicherweise innezuwohnen. In einem oft zitierten Aufsatz zu diesem Thema (überschrieben mit „Invasion aus dem Atelier. Kunst als Störfall“) resümierte Walter Grasskamp 1989 seine Sicht der Dinge folgendermaßen: „Die gesellschaftliche Leistung moderner Kunst im öffentlichen Raum ist als Herstellung eines Konfliktfeldes zu sehen.“ Aus eben dieser potenziellen Konfliktbeladenheit ergibt sich andererseits eine Dynamisierung des Stadtlebens, beziehungsweise die Aktivierung der Betrachter, die sich unversehens mit solchen Kunstwerken konfrontiert sehen. Neben dieser sozusagen diskursiven Dimension von „Public Art“ mag sie freilich auch als in erster Linie gefälliges Dekorum intendiert sein – beziehungsweise als Auswuchs oder Fortsatz von repräsentativen Gebäuden („Kunst am Bau“).
Im engeren oder weiteren Sinn kann sie auch dem Stadtmarketing in die Hände spielen und willkommene Kommunikationsansätze für die eine oder andere Tourismusagentur bieten. Wenn in London die Serpentine Gallery ihre jährlich wechselnden Pavillons eröffnet, ist das schon vielen Medien eine Schlagzeile wert, und wenn Olafur Eliasson im Auftrag des New Yorker Public Art Fund einen temporären Wasserfall errichtet, macht sich das auch nicht übel. Vergleichbare Initiativen findet man in vielen Großstädten; in München wurde zuletzt etwa für die gesamte Freiluftsaison 2013 das Künstlerduo Elmgreen & Dragset damit beauftragt, eine Reihe von Interventionen unter dem Gesamttitel „A Place Called Public“ zu kuratieren.
Auch wenn am Wiener Graben regelmäßig wechselnde Arbeiten bekannter Künstler deponiert werden, mausern sich diese häufig zu beliebten Fotosujets für Touristen (seit 20. Juni finden sich hier mit Motiven von Matt Mullican bedruckte Bänke, siehe auchwww.koer.or.at). Das klingt nach einigermaßen Wegsteckbarem, ja Gefälligem. Doch die Geschäftsführerin von „KöR/Kunst im öffentlichen Raum Wien“, Martina Taig, betont: „Wir agieren unabhängig von Begehrlichkeiten der Stadt; um das zu gewährleisten, wurde eine unabhängige Jury bestellt, die alle drei Jahre wechselt.“ Bei der von ihr geleiteten Stelle können einerseits freie Projekte eingereicht werden; andererseits werden auch ausgewählte Künstler für die Realisierung vorab definierter Arbeiten eingeladen: Die Arbeit „Schwule Sau“ von Jakob Lena Knebl, ein temporäres Mahnmal für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus auf dem Wiener Morzinplatz, gehört zu letzterer Kategorie. „Ich wollte mit dieser Arbeit keinen Skandal provozieren“, unterstreicht Jakob Lena Knebl, „aber natürlich möchte ich, darum auch der Titel, Aufmerksamkeit für das Thema schaffen und einen Bogen zum Thema Homophobie in der Gegenwart spannen“. Das von Grasskamp erwähnte Konfliktfeld ist in diesem Fall also ganz bewusst ausgelotet worden, und die Tatsache, dass das Mahnmal nur für einige Monate zu sehen ist, verhindert zudem, dass es eines Tages zu einer transparenten Folie, einer unsichtbaren Präsenz im Stadtraum werden könnte. Dieses Schicksal blüht ja selbst noch so provokanten Arbeiten, nachdem ihre anfängliche Schockwirkung abgeklungen ist.
Klein und fein. Genau hinsehen heißt es aber auch bei der Suche nach den – ebenfalls von KöR finanzierten – neuen Sehenswürdigkeiten, die das „Institut für Alltagsforschung“ im 15. Bezirk definiert und ausgeschildert hat. „Wir haben mit den Leuten im Grätzel geredet und so erfahren, was als Sehenswürdigkeit gelten könnte“, erklärt Initiator Lars Schmid das Projekt „Mustsee 15“ (siehewww.mustsee15.at). Ein Kräutergarten und eine als Gießkanne getarnte Audiostation auf der Schmelz gehören zu diesen Minimonumenten.
Neben klein- und großformatigen Interventionen, die als Teil der „Public Art“ oder eben Kunst im öffentlichen Raum gelten können, existiert auch der gesamte Komplex der sogenannten „Street Art“, die Graffiti, Stencils, Tags und andere Guerilla-Kunstpraktiken umfasst. Während sowohl die Ästhetik als auch die Praxis lange Zeit automatisch mit der Konnotation des Vandalismus behaftet waren, scheint sich hier in den letzten Jahren eine Kontextverschiebung anzubahnen.
Zum einen finden die bekannteren Exponente dieser Szene Eingang in den offiziellen Kunstbetrieb; zum anderen nimmt auch die Präsenz solcher Arbeiten im Rahmen von offiziellen Programmen zu: „Wir bemerken auf jeden Fall, dass immer mehr Street-Art-Einreichungen an uns herangetragen werden“, sagt Martina Taig von KöR Wien. „Das finde ich gut, weil es darauf hindeutet, dass die Grenzen zwischen Public Art und Street Art ebenso verschwimmen, wie die Kunst am Bau allmählich in die Kunst im öffentlichen Raum übergegangen ist.“
Nathalie Halgand, die gemeinsam mit ihrem Partner die „Inoperable Gallery“ in Wien betreibt und in Zusammenarbeit mit einigen Hausbesitzern ihre Galeriekünstler Fassadenteile bespielen lassen kann, erzählt von ihren Erfahrungen: „Die Sammlerszene wächst, und auch am Rand der Art Basel stellen auf Satellitenmessen immer mehr auf Street Art spezialisierte Galerien aus.“ Die Kuratorin der Galerie „Hilger Next“ und Projektverantwortliche für das noch bis Ende des Sommers auf dem Gelände der Ankerbrot-Fabrik abgehaltene Festival „Cash, Cans & Candy“, Katrin-Sophie Dworczak, erklärt sich diese Öffnung des Sammlermarktes nicht zuletzt durch das Auftauchen einer neuen Generation: „Für jeden, der in den Achtziger- oder Neunzigerjahren seine Jugend verbracht hat, ist die Street-Art-Ästhetik ein selbstverständlicher Teil der visuellen Kultur und wird nicht mehr automatisch mit Vandalismus assoziiert. Das führt zu neuen Erwartungshaltungen.“
Kontrollverlust. Eine der Künstlerinnen, die im Rahmen von „Cash, Cans & Candy“ ausstellt und die am 21. Juni eine Live-Performance abhält, ist die auf dem Cover dieser Ausgabe abgebildete Vasilena Gankovska: Nach einem Malereistudium zog es sie in Richtung Stadt. „Der urbane Raum hat mich immer fasziniert – zuerst als Beobachterin, dann als Fotografin, und später habe ich begonnen, mit Schablonen-Graffiti zu experimentieren.“
Der oft von ihr verwendete Schriftzug „Fragile Piece of Art“ verweist sowohl auf den klassischen Kunstbetrieb (das Kunstwerk als fragiles Transportobjekt) und evoziert zugleich die unumgängliche Fragilität des im öffentlichen Raum angebrachten Kunstwerks, das bemalt, beschrieben, schlimmstenfalls zerstört werden kann. „Als Künstlerin kann ich nicht mehr kontrollieren, was im öffentlichen Raum mit meiner Arbeit passiert. Und gerade das ist für mich das Spannende.“